Team Bittel
 

Swiss Alpine Marathon in Davos am 28.07.2007  

Autor:  GottfriedOel   E-Mail: Gottfried.Oel@medbo.de
Letzte Änderung: 28.09.2007 01:17:17

Der K 78 (km)– „the grazy peak experience“. - Oder: wie wir lernten die Schweizer Berge trotzdem zu lieben.
Der Lauf-Philosoph Gottfried schreibt...
Swiss Alpine Marathon in Davos 28.07.2007

Der Mythos:

Vom persönlichen Erleben nimmt man das Authentische, von der Dichtung die ästhetische Überhöhung: So wurde uns im Vorfeld gar manch Legendäres über diesen weltweit größten Bergultralauf erzählt. Vor der außerordentlichen Gefahr der wir uns aussetzten, sollten wir uns hüten, man beschwor uns förmlich.

Nach Günther Löfflers (71jähriger Marathon- und Ultraläufer unseres Vereins LLC Marathon Regensburg) Schilderungen von Blut und Tränen, siebenfach hat er den Lauf schon bestanden, von Massenstürzen final erschöpfter Läufer im blanken Fels, wir hörten es mit emphatischen Gruseln, von pausenlosen Rettungseinsätzen der Davoser Flugrettung zum Schnäppchenpreis von 500 Euro war die Rede und vor der selektiven Kontrolle durch den Rennarzt am windumtosten Scalettapass (2.700 m) war uns Angst. Aber dass es auf dem 16 km langen Abschnitt zwischen Keschhütte und Dürboden im Dischmatal nur das ausweglose Schicksale der „Ich-Verkleinerung“ gäbe, sollte uns eine manifeste Schwäche zur Aufgabe zwingen, machte aus unseren Vorhaben erst recht ein Wagnis noch unbestandener Erfahrungen. Wir zogen aus, einen Mythos zu zerstören und um vielleicht einen neuen, ganz persönlichen eigenen zu erschaffen.

Wer war dabei?

Wir fanden uns. Gerald Sack, Gottfried Oel und Rainer Welz. Der Reiz der Ultrastrecke und die Liebe zur unüberbietbaren Schönheit der sommerlichen Berge brachte uns am 27. Juli 2007 über den Fernpaß bei Garmisch, den Inn im schmalen Talgrund bis Graubünden aufwärts folgend, wir mussten nur noch den Flüelapass überqueren, nach Davos, pollenfreier Luftkurort auf gut 1500 m und weltweite Zufluchtstätte für leidgeprüfte Allergiker und Asthmakranke.

Die Herausforderung

Der K 78 ist eine Herausforderung. Einmal stellt die Streckenlänge den Läufer vor ein mentales Problem, zwölf Stunden darf man unterwegs sein. Im Vergleich zum Marathon dauern die Krisen länger, das Ziel ist dabei noch undenkbar weiter entfernt. Man kann nicht hoffen, gleich um die Ecke ins Ziel zu laufen. Die Krisen der Schwäche werden auch selbstgefährdender erlebt. Dieses Gefühl der „Ich-Verkleinerung“ dominiert die Empfindung manchmal absolut. Unterhalb der Keschhütte fühlte ich mich am Ende, unvorstellbar klein, soviel Unvermögen nicht mehr weiter zu können, hilflos, dem übermächtigen Berg nicht gewachsen, spürte meine Schwäche mit der Verzweiflung eines Kindes.

Das Profil der Strecke setzt einen weiteren Akzent der Herausforderung. Geht es von Davos auslaufend noch mehrere Kilometer angenehm durch idyllisch-schweizerischen Talgrund, zieht der Weg steinig und oft zum Saumpfad reduziert im ständigen Wechsel zwischen Auf- und Abstiegen an bewaldeten Talhängen entlang. Steilste Abbrüche führen in den untersten, sonnenfernsten Talgrund, der Wiederanstieg erfolgt im nächsten Schritt, aufregend am Wildbach entlang, mit heißen Herzen über schwindelnde Viadukte, über sonnenverwöhnte Almwiesen nach Filisur, Abstieg ins Dorf (die Glocken läuten gerade zu Mittag). Von jetzt an geht es nur noch bergauf, zuerst ins rätoromanische Bergün, Halbzeit und die Möglichkeit sich für den Aufstieg ins Hochgebirge vorsorglich zu rüsten.

Wer bis hierher läuft, muss glücklich sein, wachen Sinnes und voller Überschwänglichkeit. Er hat Bilder einer übermäßigen Schönheit gesehen: Heidi-Dörfer im Tal, rasante Wasserstürze, im späherischen Licht ferne Schneegrate, hat von der aufgeputschten Begeisterung mancher Zuschauer genommen, hat im Herzen alle Liebe und Dankbarkeit gefühlt zur Herrlichkeit des Laufens, zum Moment des Hierseins.

Die Strecke kostet ungewöhnliche Kraft und so schnell ist sie verbraucht. Die summierten Höhenmeter der zurückgelegten Strecke sind, einmal nicht linear gerechnet, imponierend, dabei ist in Bergün erst der Marathon mit einigen km plus absolviert.

Man steht also da am runden Fuß der schier unbezwingbaren Gipfel und ist schon zum Niederlegen kaputt, hat aber noch das Problem mit den Zeitkorridoren, die, will man nicht in das unkalkulierbare Wagnis der Disqualifikation am Berg kommen, bedacht werden müssen. Rainer hat sich ein knappes Zeitpolster herausgelaufen, aber kalkuliert dafür entschieden, den Aufstieg nicht zu wagen. Cerberussen gleich verweigern Kontrolleure das begehrte Weiterlaufen bei Überschreiten des Zeitfensters. So ist es Gerald in Chants, der letzten isolierten Almsiedlung im Val Tuors ergangen. Wer diese Stelle passiert, ist ab jetzt auf sich allein gestellt. Hilfe kann nur noch durch die Davoser Hubschrauberstaffel gebracht werden. Der Läufer kennt das Risiko, in der Ausschreibung ist darauf explizit hingewiesen worden. Der bedauernswerte, erschöpfte oder wesentlich verletzte Läufer kann nur noch rücklings in ein „body-bag“ geschnallt, außerbords unter infernalisch knatternden Rotorblättern ins Tal zurückgeflogen werden (mein Gott, ich wäre lieber gekrochen).

Läufe, die einen ganzen Tag dauern, sind dem launischen Wechsel der Witterung ausgesetzt. In Davos sind wir befreit von der Sorge übermäßiger Kälte und Gewitter, die wohl vereinzelt, aber recht lokal begrenzt für den Nachmittag vorhergesagt waren, losgelaufen (die Nieten vom Schweizer Wetteramt kennen wir inzwischen auch von ihren unzutreffenden Vorhersagen beim Jungfrau Marathon). Beim Aufstieg, unweit der Keschhütte kam es zu einen rapiden Temperatursturz, der Himmel verdunkelt, alle Schönheit in Bedrohung verwandelt. Regen setzt ein, unablässig und bald mit solcher Heftigkeit, dass auf dem 8 km langen, konkav ausgetretenen Singeltrail zum Scalettapass das Wasser von vorne durch die Schuhe läuft, seitwärts aus den Bergflanken in eiskalten Wasserbögen gegen die Beine spitzt. Meine Brille ist beschlagen, die Sicht so grau begrenzt, die Läufer einzeln unterwegs.

Im Gegenhang schlägt ein einzelner Blitz ein. Jetzt bedauere ich, meine Handschuhe nicht in Bergün eingepackt zu haben. Einen Ausweg gibt es nur nach vorne, keine Unterstellmöglichkeit am Weg, geistervolles Hochtal, berührter Schrecken. Blind und in Pfützen stolpern die Läufer mehr als sie gehen über das Geröll, jeden Schritt wie einen Schachzug planend. Links der Abhang ins Hochtal, neben der rechten Schulter immer der felsige Aufwärtsdrang des Berges, der Pfad nur Einzeln begehbar. Der Regen endet, der Wind bleibt noch, aber hinter dem Riff einer Bergbucht endlich ein Versorgungszelt, das uns gegen die Auskältung mit hüftlangen Plastiksäcken versorgt.
An der Schlüsselstelle am Scalettapaß wartet auf 2.650 m ein Zweierteam von Rennärzten, am schmalen Grat vor unspektakulären Trümmerfelsen, die aus einer Entfernung von 100 m jeden aufsteigenden Läufer taxieren und ihn auf seine Traumata hin diagnostizieren könnten. Mir haben sie die Hand gegeben, guten Lauf gewünscht und ansonsten in der Eile nichts gefunden.

Wer über den Scalettapass kommt, ist ergriffen. Hier, 16 km vom Ziel in Davos entfernt, weiß der Läufer: ich werde ankommen. Der Albdruck, vom Blitz erschlagen zu werden, ist erloschen.

Hinunter ins Dischmatal geht es auf einem steinübersäten Saumpfad in Serpentinen über offenes Berggelände, Almwirtschaften reihen sich großzügig durchs immer grünere Tal. Die Schwerkraft schiebt und die Besonderheit an langen Läufen wird zutiefst erlebbar: Nachdem das geschundene Ich durch eine Phase ausgeschöpfter Vitalität gegangen, dem Zentrum seiner Schwäche ungeschont begegnet ist, den gar engen Kreis seiner hilflosen Begrenztheit erfahren hat, Selbstzweifeln, Versagensängsten und dem Wunsch nach Erlösung (Beendigung des Laufes) zustimmen musste und konnte, kehrt wundersamerweise Schritt für Schritt neue Kraft, neues energiegebündeltes, glückhaftes Leben zurück. Der Kreis schließt sich. Die Prise Omnipotenz des Startmoments ist in der Mühle der Anstrengung pulverisiert. Eine größere, außerhalb unseres Selbst liegende Wirkmacht hat sich unserer Schwäche angenommen. Laufen transzendiert.

Dieses Glück nach einem Marathon, dieses große Vertrauen im Selbstbewusstsein ist eine Erfahrung, die allgemein ist und von allen Läufern bestätigt werden kann.

Die Revanche

Für nächstes Jahr haben Rainer und Gerald dem Berg Revanche versprochen. Wer begleitet uns dabei?

Euer Gottfried
( Gottfried.Oel@medbo.de )

PS: Fotos dazu in Erwins Bericht:

www.teambittel.de/team/veranstaltungen_2007/20070728_swiss_alpine.htm




 
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